Sonntag, 11. Januar 2009

Plattfuss bei Kilometer 256

Das Aufstehen klappt noch nicht so gut, ich bleibe noch lange mit dem Gedanken, die naechsten 7 Stunden und mehr im Sattel zu sitzen, liegen. Aber wenn ich mich dann aufgerafft habe, geht es meistens flott. Zaehne putzen, eincremen (igitt) aber notwendig, die naechsten sonnigen Steigungen sind schon in Sichtweite. Wenn ich meinen Rhythmus gefunden habe laeuft das Cratoni fast wie von selbst. Schnell an der Borracharia von João Roberto und Filho Mateus nach Oel fuer die Kette gefragt da die Pisten arg staubig sind und die Kette schoen geschmeidig und elegant bei den vielen Schaltvorgaengen zwischen den Zahnraedern rauf und runter tanzen sollte. Von weitem hab ich es in der bruetenden Mittagshitze kommen sehen. Auf der linken Seite schob ein Rad-Amigo seinen suedamerikanischen Metallgaul dahin. Ich rief ihm rueber: "Problema?" Er konterte gleich in mehreren Saetzen auf einmal, ich sah, dass das Hinterrad ohne Luft war und verstand das er nicht im Besitz einer bomba de aire (Luftpumpe) war. I will help you. Wir suchten nach einem schattigen Platz und dann haben wir flink sein Radl wieder flott gemacht. Lustig war, dass jeder auf seiner Sprache seine Vorgaenge vor sich hin sprach und beide verstanden wir, was der andere machte. Die Bremsbacken noch schnell umgedreht und nach 20 Minuten legte er sein Holzbrett wieder quer auf seinen Gepaecktraeger, wir schnallten seine Reisetasche mit einem stark ausgeleierten Expander fest und seine Werkzeugtasche band er neben dem Rosenkranz an seinen manubrio (Lenker).
Er hatte fuer das Lochsuchen sein komplettes Wasser verbraucht so habe ich ihm seine Flasche aufgefuellt und meinen Maça (Apfel) mit ihm geteilt. Allein an seinem Blick konnte man die Dankbarkeit ablesen. Lange sind wir nicht zusammen gefahren, da ich im Leerlauf schneller rollte als er bei vollen Touren. Herzlich haben wir uns voneinander verabschiedet und mit einem etwas schlechtem Gewissen (weil ich ihm keinen neuen Mantel draufgezogen hab) bin ich weiter Richtung Ponta Grossa gefahren.
Nach 108 km erreiche ich Ponta Grossa, eingecheckt im Hotel Mendes und in einem grob gezimmerten fast frisch bezogenem Bett hab ich Platz gefunden. Nach dem ich mich frisch gemacht habe ruft Diego an, verstanden haben wir wegen der schlechten Verbindung nicht viel, trotzdem trafen wir uns 10 Minuten spaeter auf der Strasse. Gemeinsam sind wir ins Shopping Palladium gefahren und bei Subway uns einen Sandwich de Peru bestellt. Spaeter meinte er, soll ich bei ihm im Hotel ins Internet, es waere im Hotel fuer lau, aber es stellte sich heraus, dass es nicht geht.
Am naechsten Morgen treffe ich beim Fruehstueck Prof. William Mikio Kurita Matsumura kennen, er studiert Geographie und Biologie und wohnt schon ein Jahr im Hotel Mendes. (!?!)
Nachdem ich kurz meinen Account checkte ob Alex sich gemeldet hat, schenkte ich ihm dafuer einen Kuli und er hat sich gefreut wie ein Schneekoenig bei mittlerweile 38 Grad Celsius.
Grund genug fuer mich und die kommenen Strapazen meine Cooline Weste und die Baender zu aktivieren. Mein Sonnenbrand auf den Oberschenkeln schmerzt und die Kuehlung koennen sie gut vertragen. Auf geht es nach Curitiba, am besten gleich weiter nach Joinville, wo ich bereits von Alex, Juliana und Bianca erwartet werde, ein Ziel, da tritt man doch gleich doppelt so schnell in die Pedale. Doch mich erwartete ein knueppelharter Tag, entlang der BR 376. Was auf der Karte wie eine bequem zu radelnde Flachetappe aussieht entpuppt sich als kraeftezehrende Achterbahn. Was gut ist, an Mautstationen und Autobahnen gibt es immer eine Station Aqua gelada (kaltes Wasser). Regelmaessig muss ich tanken gehen und meine Kuehlbaender nachwaessern, wieder eincremen (igitt) und weiter gehts. Vor Curitiba faellt die Entscheidung, die Stadt aus Sicherheitsgruenden suedlich zu umfahren, da Wochenende ist und die ein oder anderen Amigos vielleicht schon ganz heftig schluckischlucki gemacht haben. Die Entscheidung war schon nach wenigen Kilometern fragwuerdig, da die Strecke megaschlecht war, der Seitenstreifen war der reinste Tierfriedhof, Hund, Katze, Ratte, Fuchs, Ameisenbaer und Frosch haben sich nicht am Gummi der zerfetzen Keilriemen oder Autoreifen ueberfressen, die waren teilweise so platt, dass man es fast nicht merkte, wenn man ausversehen oder gezwungen wurde, drueber zu brettern.
Langsam wurde es dunkel und weit und breit keine Pousada zum Schlafen sichtbar. Nach 145 Tageskilometern und mehr als 8 Stunden im Sattel erstrahlte das Hotel Stradiotto links, auf der anderen Strassenseite. Noch einmal die Autobahn, was uebrigens normal ist, ueberqueren. Geschafft. Doch neben der Freude ein Platz zum Naechtigen gefunden zu haben kam gleich der Daempfer hinterher. Lamentamos, mas já está tudo cheio, keine Ahnung, die Gestik deutet aber darauf hin, das kein Zimmer frei ist. Vier Km entfernt liegt das naechste. Mein letzter Joker: Posso montar minha barraca aqui? Kann ich mein Zelt auf dem Gelaende aufstellen? Nach einem kurzem Telefonat mit dem Cheffchen geht alles klar und er weist mir einen Platz nebem dem Muellhaufen zu. Ok, in der Lanchonette schnell noch 2 Bier verhaftet und mit Ohrenstoeppsel soll es fuer ein paar Stunden bei dem Laerm und dem Gestank auszuhalten sein. Vom Restaurant konnte ich beobachten, wie Sohn und Vater interessiert mein Zelt umkreisen. Als er es dann umdrehen moechte schreite ich ein. Beide haben versucht, einen Eingang zu finden, jedoch ergebnislos, gut so. Ich hab ihnen dann einen Blick in mein Schlafzimmer gewaehrt und eine gute Nacht gewuenscht. Um 4 am bin ich aufgewacht, alles klebte, ich konnte leider keine Dusche mehr wahrnehmen, fuehlte mich ganz fit, dennoch war nicht an Aufbruch zu denken, ausserdem regnete es ein wenig.
Gegen 6.30 am bin ich dann aufgestanden, auf der Suche nach einer Toilette hab ich mich in der Kueche des Hotels mit meinen Wertsachen verlaufen. Freundlich zeigte man mir den Weg. Schluss hier, zusammenpacken und weiter fahren, heute mal nicht eincremen, die Schicht von gestern mit Russ verschmiert reicht aus.
Auf einem Schild lese ich, bis Joinville sind es in etwa 107 km, ein Klacks. Weiter auf der Br 376 Richtung Sueden und spaeter auf der Br 101 pedale ich dahin. Nach 30 km nehme ich ein sanftes Fruehstueck ein. Draussen radelt ein Amigo mit aehnlicher Ausruestung wie ich bestueckt bin vorbei. In Ruhe geniesse ich meinen Cafe com Leite, vielleicht sieht man sich ja spaeter, bin neugierig, wie seine Route aussieht. Momentan koennte ich es mir aber nicht vorstellen mit jemandem gemeinsam zu radlen, so bin ich auch beruhigt, dass Morgen in Deutschland wieder die Schule beginnt und auf keinen Fall bei der naechsten Mautstelle mein Radamigo aus Tuebingen in seinem Strampler aufkreuzen kann.
Nach einer mehreren Kilometer langen Abfahrt ist ploetzlich Stau. Die Luft riecht unangenehm nach LKW-Kupplung, es zischt und die Bremsen fauchen. Meine Magurabremse ist davon eher gelangweilt. Ich bretter zwischen den Ford Pampas und VW Paratis hindurch und nach kurzer Distanz kann ich erkennen, dass ein Unfall eines Onibus mit einem Golf IV die Ursache ist. Soweit ich aber erkennen kann ist niemand zu Schaden gekommen und das Militaer hat alles im Griff, zumindest ihre Schnellfeuergewehre. So sieht es zumindest aus. Mein Versuch scheitert, mich bei Alex telefonisch anzukuendigen. Telefonieren muss in Brasilien studiert sein. Es gibt zig Operators, Vorwahlen und Anleitungen, fuer mich ist das alles ein Buch mit 7 Siegeln. Entweder antwortet mir ein Mann oder eine Frau der Service-Hotline, selten hoere ich ein Freizeichen und wieder ist eine kostbare Vierstunde vergeudet. So ein Mist, das nervt.
Nach Fuenf Stunden erreiche ich Joinville, am Ortseingang steht eine Windmuehle und ein altes hoelzernes Stadttor. Ich fahre wie auf einer Ehrenrunde hindurch. Weitere Versuche scheitern, Alex zu erreichen, dazu faengt es wieder an zu regnen. Erst mal eine Tuete Chips fuer die Elektrolyte und abwarten. Zwei aufgeweichte Velodriver kommen mir entgegen, Carlos und Alyson, letzterer spricht gebrochen Englisch. Fuer beide ist es eine Ehre, mich bis vor die Casa von Alex zu eskotieren. Nach einem Foto radeln die Zwei davon und ich bin da uns sehne mich schon nach einer Dusche. Herzlich wurde ich von Alex, Juliana und Bianca empfangen. Duschen, Waesche waschen und dann ein leckeren Bananenkuchen mit Kaffee, wow. Anschliessend machten wir eine kleine Stadtrundfahrt und gingen shoppen, am Abend kamen noch ein paar Arbeitkollegen zu einer Churrasco, auf gut deutsch, es wurde gegrillt. WOW, war das lecker und nach einem Caipi ging es in die Falle, ausschlafen, ich freu mich drauf.
Heute, am Domingo war ich richtig faul. Fruehtstueck, Essen, Internet, spazieren, erholen.
Nach einem kurzem Telefonat mit Helma, die Tante von Simone, hab ich mich dort fuer morgen angemeldet. Ich freu mich drauf, es wird eine entspannte Etappe, jedoch kann mir das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen, hoffen wir es mal nicht, ich habe mein Tellerchen doch immer brav leer gegessen.

Lance Gallone

11 Kommentare:

  1. servus maschine!

    hört sich gut an was du zu berichten hast...ich freu mich immer sehr wenn ein neuer bericht von dir hochgeladen wurde und ich wenigstens für ein moment mit in dein abenteuer eintauchen kann.
    coole sache, dass du den apfel geteilt hast...

    hier in hd warten aber auch viele abenteuer auf einen. bin gestern über 'ne rote ampel gelaufen und einer hat gehupt und heute morgen nach'm duschen hab ich es nicht ganz geschafft meinen rücken komplett abzutrocknen, er ist dann aber zum glück von alleine getrocknet. ach ja, samstag war ich beim bäcker, der hatte aber zu. bin dann halt zu `nem anderen gegangen, aber war auch eine knifflige situation.

    ich wünsch dir weiterhin viele kleine schutzengel...
    rischtisch geil aktion, andi ;-)

    noch 'nen tip: bergab kannste einfach rollen lassen. vielleicht wusstest du das schon...ich hab es gestern erst gecheckt!

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  2. Oi
    Nao consigo entrar aqui mas estou tentando
    Beijao

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  3. Hallo Simon,

    ganz liebe Grüsse von Cassia! Sie würde dir gerne etwas schreiben, aber sie glaubt, es klappt nicht so ganz- dabei hat es doch geklappt!
    Schön, dass es dir gut geht :) Du kommst ja mächtig voran! Hut ab! Viele Grüße auch von Joao und Margot, Iraci und Joao, Kauana, meiner family,...

    Hab dich lieb, Kata

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  4. Oi simon,
    herzlichen glückwunsch zur ersten woche auf dem radl. strampelst die km ganz schön hoch und runter,beneidenswert. weiter so und immer schön die kühlackus laden!!!
    hier in Heidelberg sind die temperaturen etwas anders als bei dir auf der südhalbkugel: -12°C,Neckar ist seit 1963 das erste mal wieder zugefroren (schaut aus wie an der antarktis), an die 20 schiffe haben zwangsurlaub, aber sonnenschein pur ... wir müssen uns hier auch ständig eincremen, ansonsten geht es uns wie deinen oberschenkeln ;-)scherzle!!!
    freue mich schon von deinen weiteren erlebnissen zu lesen und die bilder und videos zu bestaunen.
    liebe grüße aus dem schönen heidelberg!!!
    petra

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  5. Ich hab auch einen Plattfuß! Und wenn der PT Gallone noch hier wohnen würde, wär der schon lang exzellent repariert worden, seufz! Naja, dann lauf ich halt zu Fuß bis April...

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  6. Hallo Simone

    Na toll und ich hock daheim mit der rothaarigen und den zwei kleinen. Wär ich doch bloß mitgefahren. Endlich fährst du auch mal Fahrrad, dacht schon du bist nur zum Bier trinken runtergeflogen.

    in ewiger Liebe Dein Bernhard K.

    P.S. bring doch ein paar von den Kakten mit die voll reinhauen

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  7. Hallo Simon,
    ich schau jeden Morgen glei nach ob du gebloggt hast und lese deine Abenteuer mit großer Spannung. Heute stand in der Zeitung, dass in Heidelberg im Neckar alle Schiffe festgefroren sind und nicht mehr los kommen. Des wird bei dir wohl etwas anders sein. Hab in zwei Wochen meine Letze Prüfung und bin dann fertig. Juhu, abgeschlossene Berufserfahrung.

    Wünsche dir weiterhin Reifen und Straßenbruch und denk an dich

    Grüße Jonas

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  8. "Hey, haste das vom Simon gelesen?" (RNZ-Artikel)Deine Aktion macht grad im Stift die Runde, die Ex-Kollegen sind mächtig stolz auf Dich, gut so!
    Also Simon, hau rein in die Pedale und geb alles :-)))

    Schönen Gruß
    Kai

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  9. Hallo Simon,
    Unglaublich, uns kommt es noch wie gestern vor, als wir uns auf dem Philosophen-Weg verabschiedet haben, und jetzt lesen wir deine spannenden Berichte von dieser uns völlig fremden Welt. Schön, daß du uns das im kalten Deutschland so anschaulich Nahe bringst. Vielen Dank und liebe Grüße. Pass auf dich auf
    Alex und Markus

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  10. Moin g!

    Es kann wohl nicht jede Bleibe so luxuriös sein wie "Alicante No. 1"...

    Ich habs endlich mal geschafft von meiner Seite auf Deine zu verliken! Fahr schön weiter und sei schön vorsichtig, Du wirst gebraucht! Die Arbeit bei mir macht sich net von allein und wenn du wieder da bist, bin ich noch net fertig!

    Die Beste Grüsse von e, w und Deinem Hund!

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  11. Mein Gutschter,

    gut soweit. Hoffe, dass Du alle Situationen gut einschätzst, wohl nicht immer leicht in so einen total anderen Land.
    Mal ne Frage: Hast Du ein GPS-Gerät dabei? Hätte da eine Idee. Falls ja, gib Bescheid, vielleicht könnte ich dir die Dateien in Google-maps reinstellen.

    "Also, morga schiaße na aufs Brasil", bis dahin, Philipp.

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